* 4. Juni 1945
von Peter Niklas Wilson
Essay
Zum Komponisten wurde der Improvisator Anthony Braxton durch seine zufällige Begegnung mit Schönbergs „Drei Klavierstücken“ Nr. 11 während seines Armeediensts in Korea 1965: „Schönbergs Musik korrespondierte mit dem, was ich in der Musik [des Free-Jazz-Pioniers] Ornette Coleman hörte. […] Vielleicht war Tonalität doch kein gottgegebener Zustand, der sich nicht weiterentwickeln konnte. Durch Schönbergs Musik kristallisierte sich mein Interesse an alternativen Herangehensweisen an musikalische Architektur heraus.“ Dieses Interesse führte, seit Braxtons Heimkehr nach Chicago im Jahr 1966, zur intensiven Auseinandersetzung mit der musikalischen Moderne, u.a. mit der Musik Bergs, Weberns, Stockhausens und Cages. Kaum überraschend also, daß Braxtons erste Kompositionen für nicht-jazzspezifische Kontexte – Werke, wie sie seit 1968 entstanden – Topoi der neuen Musik der 50er- und 60er-Jahre aufgreifen: eine pointillistische, rhythmisch fragmentierte, frei atonale Syntax (wie im Piano Piece No.1, 1968); die Idee einer offenen, in variabel kombinierbare Elemente dissoziierten Form – u.a. Composition 10 für Klavier (1969) sowie die Streichquartette Composition 17 und 18 (beide 1971) –; Versuche mit graphischen Notationssystemen (u.a. in Composition 4 für fünf Tuben, 1968; Composition 7 für Orchester, 1969 und Composition 16 für vier Klaviere, 1971); die kritische Auseinandersetzung mit dem tradierten ...